Für die neue Brutsaison war alles vorbereitet.
Der Nistkasten war im Frühling frisch gereinigt, die Kamera einsatzbereit, das Futterhäuschen und die Badestelle gefüllt. Jetzt hieß es warten. Und hoffen.
Nicht lange, denn bald kam sie wieder: Kohli, meine Stammmeise. Die kleine Kohlmeise, die schon den ganzen Winter über regelmäßig im Kasten übernachtet hatte.

Ab Anfang März wurde sie unruhiger. Ich konnte beobachten, wie sie begann, das Innere des Kastens zu inspizieren, alte Kotreste entfernte, hier und da etwas ordnete. Ihr Verhalten änderte sich. Ich war aufgeregt. Vielleicht geht es jetzt los, dachte ich. Vielleicht beginnt sie wirklich mit dem Nestbau.

Nestbau mit Anlauf

Und tatsächlich – eines Tages kam sie mit einem Hälmchen im Schnabel. Dann mit Moos. Dann mit einem weichen Flaum. Stück für Stück entstand ein kleines, liebevoll geflochtenes Nest.
Ich konnte mich kaum losreißen. Morgens ein erster Blick aufs Livebild, abends noch schnell die Aufzeichnungen durchsehen. Ich war mittendrin, fast wie ein stiller Teil ihres kleinen Projekts.

Kohli arbeitete mit Hingabe. Immer wieder formte sie die Nestmulde um, drehte sich, zupfte, baute weiter. Und ich wartete auf den nächsten großen Moment: das erste Ei.
Doch es kam nicht. Stattdessen schlichen sich Pausen ein. Tage, an denen sie überhaupt nicht erschien. Dann war sie wieder da, brachte ein weiteres Stück Moos oder Flaum, setzte sich kurz in die Mulde – und verschwand erneut.

Es fühlte sich an wie ein innerer Kampf, wie ein ständiges Abwägen. Fast, als sei sie sich selbst nicht sicher, ob es der richtige Ort oder der richtige Zeitpunkt war.

Kohlmeise mit weichem Material

Konkurrenz, Kämpfe, Rückzüge

Und dann kam Blaui.
Eine junge Blaumeise, neugierig und mutig, mit glänzendem Gefieder und viel Energie. Sie entdeckte den Kasten – und fand Gefallen daran.
Kohli ließ das nicht auf sich sitzen. Es folgten Revierkämpfe: wildes Geflatter, lautes Gezeter um den Kasten. Es war schmerzhaft mitanzusehen, wie beide Federn ließen – wortwörtlich. Ich konnte nicht eingreifen, musste einfach nur zuschauen.

Blaumeise im Nistkasten

Die Wespenkönigin

Und als wäre das nicht schon genug, erschien auch noch eine neue Konkurrentin: eine Wespenkönigin.
Mit bedrohlich lautem Brummen näherte sie sich dem Kasten, inspizierte diesen vorsichtig von innen. Doch Kohli kam genau in diesem Moment zurück – als hätte sie gespürt, dass Gefahr in Verzug war. Die Wespe verschwand. Zum Glück.

Aber auch diese Rückkehr brachte keine Stabilität. Kohli blieb unbeständig. Sie kam mal früh morgens, dann tagelang gar nicht. Manchmal brachte sie Futter mit – fraß es dann aber selbst. Immer noch kein Ei. Nur Unentschlossenheit.

Wespenkönigin im Nistkasten

Auch Blaui zögert

Währenddessen entwickelte sich am zweiten Kasten – einem Ausweichquartier, welches ich ihnen zur Verfügung gestellt habe – ein paralleles Drama.
Auch Blaui kam immer wieder. Mal alleine, mal mit ihrem Partner. Sie hüpfte neugierig hinein, untersuchte jede Ecke, zwitscherte aufgeregt.
Ich hatte Hoffnung. Vielleicht würde zumindest hier ein Nest entstehen.

Aber auch in diesem Kasten blieb es leer. Kein Nestbau, keine Eier, keine klare Entscheidung.

Leeres Nest

Was bleibt

Jetzt ist Mai. Die Hauptbrutzeit der Meisen neigt sich dem Ende zu.
Kohli ist nur noch vereinzelt zu sehen. Sie wirkt müde. Auch Blaui zeigt sich kaum noch. Die Wespenkönigin hat sich glücklicherweise ein anderes Quartier gesucht.

Zurück bleibt ein Nistkasten, liebevoll gebaut, weich ausgepolstert – und doch leer. Kein Piepsen, kein Füttern, kein Leben im Kasten.

Es scheint, als fehlt der Impuls zum weitermachen. Ist es zu trocken? Das Wetter zu unbeständig? In diesem Frühjahr hat es so gut wie gar nicht geregnet. Auch Insekten sind so wirklich erst seit Ende April zu sehen.

Zurück bleibt eine Geschichte, die zeigt, dass nicht alles nach Plan verläuft. Schon gar nicht in der Natur.
Eine Geschichte über Hoffnung und Enttäuschung, über Geduld und kleine Rückschritte, über Entscheidungen, die wir nicht beeinflussen können.
Und über zwei Meisen, die vielleicht einfach ein anderes Timing haben.

Der Nistkasten im Frühling

Ich weiß nicht, ob sie zurückkommen. Etwa einen Monat ist wohl noch Zeit, dann ist die Brutsaison für dieses Jahr wahrscheinlich vorüber. Aber nächstes Jahr, wird wieder alles bereit sein.

Auch wenn keine Küken schlüpfen – das Beobachten allein erzählt Geschichten, die tiefer gehen als so mancher Frühling es ahnen lässt. Am Nistkasten ist im Frühling immer etwas los.

Kohlmeise sitzt in der Mulde

Wildlife auf dem Balkon